
Der 13. Dezember erwacht grau und schwer. Dichter Nebel liegt wie ein Schleier über dem Dorf und selbst die vertrauten Wege zur Schule wirken an diesem Tag fremd und unheimlich. Ein eigenartiges Knistern liegt in der Luft, als hätten die kahlen Bäume selbst ein Geheimnis zu verbergen. Die Kinder tuscheln nervös in den Fluren, ihre Stimmen kaum lauter als Flüstern.
Immer wieder fällt ein Name: Herr Schwarz. Seine mürrische Art, seine offensichtliche Abneigung gegen Weihnachten und die Tatsache, dass er die Kinder immerzu fortschickt, lassen die Gerüchte ins Kraut schießen. „Bestimmt war er es“, wirft einer von Emmys Mitschülern ein. „Er hat den Stern gestohlen, um uns allen das Fest zu verderben!“ Die Vorstellung trifft auf eifrige Zustimmung und die düstere Stimmung des Tages nährt die Fantasien wie ein Funke das Feuer.
Emmy weiß nicht, was sie glauben soll. Ihr Herz schwankt zwischen Zweifel und brennender Neugier. Und so beschließen sie am Abend, als der Nebel noch dichter über den Gassen hängt, Herrn Schwarzs Haus genauer unter die Lupe zu nehmen. Heimlich versammeln sich Emmy und ein paar Kinder am Zaun seines Gartens.
„Wir müssen leise sein“, flüstert Emmy, ihr Atem sichtbar in der kalten Luft. Schritt für Schritt schleichen sie durch die feuchte Dunkelheit, spähen durch Sträucher und werfen verstohle Bicke zu den Fenstern. Das Haus liegt still da, fast zu still.
Da – ein Rascheln. Ein Knacken, scharf wie ein Peitschenhieb in der Stille. Die Kinder halten den Atem an, die Schatten scheinen sich zu verdichten. Dann blitzen zwei glühende Augen aus dem Dickicht. Für den Bruchteil einer Sekunde wirkt es, als ob ein unheimliches Wesen sie fixiert – doch im nächsten Moment schießt ein pelziger Körper hervor.
Ein Waschbär!
Ein gellender Schrei zerreißt die Nacht. Vor Schreck wie gelähmt, brauchen die Kinder einen Herzschlag lang, ehe Panik sie packt. Sie erschrecken auseinander, als hätten die Schatten selbst sie gejagt, rannten sie davon durch die nebligen Straßen, so schnell ihre Beine sie tragen konnten. Schuhe platschten durch Pfützen, Jacken raschelten und niemand wagte, sich noch einmal umzusehen.
Erst als jeder in seinem eigenen Haus ankam, keuchend und mit rotem Gesicht, beruhigte sich das wilde Herzklopfen ein wenig.[ Später, als Emmy sicher in ihrem Zimmer saß, erst da muss sie lachen – wie ein kleiner, tapsiger Waschbär es geschafft hatte, sie alle in Angst und Schrecken zu versetzen!
Und doch, zwischen dem Lachen bleibt ein Rest von Gewissheit. Herr Schwarz wirkt verdächtiger denn je und tief in ihrem Inneren weiß Emmy: Dies war erst der Anfang.
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