
Kaum biegt Emmy um die Ecke, umfängt sie ein Meer aus Licht und Wärme. Bunte Lichterketten ziehen sich von Stand zu Stand, Laternen werfen goldene Kreise auf den Schnee und ein süßer Duft aus Vanille und Gewürzen liegt über dem Platz.
Menschen lachen, Kinder ziehen kleine Holzschlitten hinter sich her und von irgendwoher erklingt sanfte Musik – eine Geige, die sich mit dem hellen Ton einer Flöte mischt.
Die Lehrerin, die sich vor wenigen Tagen noch von den Gerüchten hatte mitreißen lassen, hat die Situation inzwischen bereinigt. Mit klugen Gesprächen unter Eltern und Kollegen hat sie die Wogen geglättet und dafür gesorgt, dass die Spekulationen über die Lindners im Stillen verschwunden sind – noch ehe die Familie davon erfahren konnte. Zwar ist es ihr selbst etwas unangenehm, dass sie nicht von Anfang an ein gutes Vorbild war, doch nun ist wieder Frieden eingekehrt.
Emmy und Sophie schlendern Hand in Hand durch die Gassen. Sie bleiben an einem Stand mit glitzernden Glasanhängern stehen. Einer davon – sternförmig, aus klarem Glas mit goldenen Sprenkeln – fängt das Licht so ein, dass Emmy unwillkürlich den Atem anhält.
„Er erinnert mich an den Weihnachtsstern“, flüstert sie leise, fast ehrfürchtig.
Sophie lächelt sanft und stupst sie an. „Komm, heute nicht. Heute genießen wir einfach das Schönste am Winter – Lichter, Musik und Zucker auf der Zunge.“
Also lassen sie sich treiben. Sie teilen sich eine frische Waffel mit Puderzucker, der in der Luft wie Schneeflocken tanzt und wärmen ihre Finger an dampfendem Kakao. Neben ihnen singen zwei ältere Damen Weihnachtslieder, ihre Stimmen warm und klar, begleitet vom rhythmischen Knirschen der Schritte auf dem festgetretenen Schnee.
„Es fühlt sich endlich wieder normal an“, sagt Sophie nach einer Weile, die Augen auf die Lichter gerichtet.
„Ja“, antwortet Emmy, ihre Stimme klingt weich. „Fast so, als wollte der Weihnachtsmarkt das ganze Dorf heilen.“
Sie bleiben stehen und betrachten das bunte Geschehen – Kinder mit roten Nasen, Paare, die eng beieinanderstehen, den Duft von gebrannten Mandeln und Kiefernharz, das leise Knistern einer Feuerschale, über der kleine Funken in den Nachthimmel steigen.
Für einen Moment vergisst Emmy alles – den verschwundenen Stern, die Gerüchte, die Unsicherheit.
Es gibt nur diesen Abend, die Wärme, das Lachen, die Musik.
Und irgendwo zwischen all den Lichtern glimmt ein Gedanke in ihr auf: Vielleicht ist das das Geheimnis der Weihnachtszeit – dass selbst mitten im Rätsel Hoffnung leuchten kann.
© katismerch, 2025