
Der Morgen begann friedlich. Über den Dächern des Dorfes glitzerte der Schnee und aus den Schornsteinen stieg leise Rauch auf. Man spürte, dass Weihnachten nahte – nicht durch Glanz und Lichter, sondern durch dieses stille, warme Gefühl, das überall zwischen den Menschen lag.
Bei Familie Lindner herrschte geschäftiges Treiben: In der Küche duftete es nach Apfelküchlein, auf dem Tisch standen Kannen mit heißer Schokolade und von draußen drang das fröhliche Stimmengewirr der Nachbarn herein. Die Lindners hatten zu einem kleinen Beisammensein eingeladen.
Schon auf dem Weg dorthin bemerkten Emmy und Sophie eine kleine Menschenmenge vor dem Haus. Verwundert drängten sie sich nach vorne – und staunten.
Ein neugieriger Waschbär kletterte mit tapsigen Bewegungen auf die Fensterbank und streckte seine Pfoten nach den dampfenden Apfelküchlein aus. Seine schwarzen Augen blitzten verschmitzt, während er immer wieder versuchte, eines der Leckerbissen zu erwischen. Die Leute kicherten, einige zückten ihre Handys. Doch kaum bemerkte der kleine Dieb die Aufmerksamkeit, flitzte er erschrocken davon – flink wie ein Schatten.
„So ein Ungeziefer!“, schimpfte Herr Schwarz und verschränkte die Arme. Doch die meisten Nachbarn lachten und Emmy konnte nicht anders, als mit Sophie zu kichern.
„Das war einfach zu witzig!“, rief Sophie und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
Als sie das Haus betraten, empfing sie angenehme Wärme. Drinnen herrschte eine heitere, beinahe magische Stimmung – Kinder spielten, Erwachsene plauderten und über allem lag dieses heimelige Gefühl, das nur Wintertage kurz vor Weihnachten haben.
Für Emmy und Sophie war dies die perfekte Gelegenheit, unauffällig weiterzuforschen. Sie sprachen mit den älteren Nachbarn, hörten Geschichten aus vergangenen Wintern und tauchten ein in Erinnerungen an frühere Feste. Doch so aufmerksam sie auch lauschten – kein Hinweis, kein heimliches Flüstern, das sie weiterbrachte.
Nur die Stimmen der Menschen und das Knistern des Ofens begleiteten sie, während draußen die Schneeflocken fielen.
Dann begann eine Nachbarin, ein altes Weihnachtslied zu singen. Ganz leise zuerst, dann klar und warm, bis der ganze Raum innehielt. Niemand sprach. Emmy fühlte, wie eine tiefe Ruhe in ihr aufstieg – und darunter, kaum hörbar, der kleine Funken Hoffnung, dass das Geheimnis bald gelüftet würde.
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